Wurm auf Insektenjagd bietet Inspiration für polymere Materialien

Ein Wurm, der auf seine Beute spuckt, um sie einzufangen, könnte die Entwicklung von neuen biologisch abbaubaren Polymermaterialien inspirieren. Forscherinnen der AMI-Gruppe BioNanomaterialien haben die einzigartigen Eigenschaften des Schleims untersucht, den der fleischfressende Samtwurm produziert.  

Kleine Insekten im Regenwald sind vielen Gefahren ausgesetzt. Eine der unerwarteten Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, ist kaum größer als die Insekten selbst: Onychophorane, auch als Samtwürmer bekannt, sind gefräßige und aktive Fleischfresser, deren bemerkenswertestes Merkmal ein Paar Schleimdrüsen ist, die sich auf beiden Seiten des Kopfes befinden. Bei der Jagd benutzen die Samtwürmer ihre Fühler und chemosensorische Organe in der Nähe des Mauls, um ihre Beute zu identifizieren. Sobald der Wurm sein Ziel gefunden hat, schießt das winzige Raubtier klebrigen weißen Schleim auf seine Beute, um sie zu immobilisieren. Dieser "Kleber" wird mit einer unglaublichen Geschwindigkeit von fünf Metern pro Sekunde ausgestoßen! Während er seine Beute immobilisiert, kann der Wurm Verdauungsspeichel injizieren, bevor er das Insekt verzehrt. Je mehr die Beute versucht sich vom Schleim zu befreien, desto steifer wird dieser, da er bei mechanischer Stimulation schnell aushärtet. Der Schleim ist zuerst zähflüssig wie Eigelb und verwandelt sich in Sekundenschnelle in ein festes, solides Polymer, vergleichbar mit Nylon. Der Schleim ist jedoch biologisch abbaubar, da er sich aus Wasser, Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten zusammensetzt.

Die Forscherinnen der BioNanomaterials Gruppe haben die Mikro- und Nanostrukturen des Schleims von Epiperipatus biolleyi, einer Samtwurmart aus Costa Rica, genau untersucht. "Ich erfuhr von diesem seltenen und einzigartigen mechanoresponsiven Schleim, und eines Tages hatte ich das Glück, eine Probe zu sammeln, die ich einer mikroskopischen Analyse unterzog", erklärt Dr. Yendry Corrales, die das Projekt geleitet hat. "Ich beobachtete ein natürliches Material, das durch Mikro- und Nanostrukturen gebildet wurde, über die in der wissenschaftlichen Literatur noch nichts bekannt war. Dr. Corrales, die nach Erhalt des Postdoc-Stipendiums des NFS «Bio-Inspired Materials Women in Science» an das AMI kam, hatte während ihres Doktoratsstudiums mit Nanomaterialien auf Proteinbasis gearbeitet. Für ihren nächsten Karriereschritt wollte sie neuartige bio-inspirierte Materialien erforschen, wobei sie sich von der Biodiversität ihrer Heimat Costa Rica inspirieren liess. 

Weitere am AMI durchgeführte Untersuchungen haben nun ergeben, dass es sich bei dem Schleim um ein Verbundmaterial aus einer Proteinmatrix und Vesikeln mit anorganischen Salzen handelt, wobei zwei wichtige Prozesse erforderlich sind, um den Übergang von flüssig zu fest zu ermöglichen. In einem ersten Schritt werden die in der Matrix enthaltenen Proteine unter Krafteinwirkung gedehnt, wobei Wasser eliminiert wird. Die Proteine verschieben sich von einer kugelartigen in eine faserartige Konformation. In einem zweiten Schritt löst das Aufbrechen der Vesikel die Freisetzung ihrer Bestandteile aus, was zu einer chemischen Reaktion führt, die die Gelierung und Verhärtung des Schleims katalysiert. "Es hat die Stärke von aus Erdöl gewonnenen Polymeren wie Nylon, aber es hat den zusätzlichen Vorteil, dass es auf Proteinen basiert und biologisch abbaubar ist", fügt Dr. Corrales hinzu.

Die Zusammensetzung des Samtwurmschleims könnte laut Dr. Corrales als Vorgabe für die Formulierung biologisch abbaubarer Materialien dienen, die Kunststoffe wie Nylon ersetzen sollen. Dies könnte zur Entwicklung neuer und effizienter Verfahren zur Bearbeitung von biopolymerer Materialien führen, was diese für Anwendungen und die Kommerzialisierung wesentlich attraktiver machen würde. Die ersten Schritte sind bereits im Gange: "Wir arbeiten momentan an der Entwicklung von bio-inspirierten, mechano-reaktiven Vesikeln, die im Bio-Printing eingesetzt werden könnten", sagt Dr. Corrales. "Unser Ziel ist es, die Präzision von Bio-Printing-Prozessen zu verbessern ohne die Bio-Polymere abzubauen".